Dezember 2006 / Januar 2007

Vom 1. Dezember bis zum 15. Januar sind in Namibia die Sommerferien, Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Die meisten Kinder von Katutura verbringen diese Zeit bei Familienangehörigen in den landwirtschaftlichen Gebieten im Norden Namibias, denn der Familiensinn ist bei der schwarzen Bevölkerung sehr ausgeprägt, man legt großen Wert darauf, mit der ganzen Sippe verbunden zu bleiben und man trifft sich, wann immer es möglich ist. Die Erwachsenen der Sippe legen großen Wert darauf, mit den Heranwachsenden und den Kindern der nächsten Generation in einem Kontakt zu bleiben. Ein Kind gilt unter der schwarzen Bevölkerung erst dann als Waise, wenn wirklich kein Blutsverwandter der Erwachsenengeneration mehr am Leben ist. Solange es noch wenigstens Geschwister oder erwachsene Nichten und Neffen der Mutter, oder Großeltern und deren Geschwister gibt, solange bleibt das Kind im Familienverbund, auch wenn das teilweise mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, wie wir bei Ellie im Ebenacer-Kindergarten erleben mußten.

Ellie wusste nicht mehr weiter: Anfang Januar tauchte bei ihr der Sohn ihrer Schwester auf, die Ende Dezember verstorben war. Der Vater des Kindes starb bereits im Juli 2006, beide Eltern starben an AIDS. der neunjährige Junge, ebenfalls HIV-positiv, wohnte zunächst bei Nachbarn, wurde dann aber zu Ellie als einziger überlebender Verwandten geschickt. Für Ellie war klar, dass sie nun die Verantwortung für das Kind übernehmen würde, deshalb wollte sie ihn auch sofort fürs neue Schuljahr an einer Schule in Katutura anmelden. Das ging aber nicht, denn der Junge konnte kein Zeugnis vorlegen, er hatte keines bekommen. Rücksprache mit der bisherigen Schule, die 300 Kilometer entfernt liegt, ergab, dass 2006 kein Schulgeld bezahlt wurde, weswegen auch kein Zeugnis ausgestellt wurde. Es musste also erst das Schulgeld für 2006 bezahlt werden, dann konnte das Zeugnis für 2006 erstellt werden, dann konnte die Anmeldung an der Windhoeker Schule erfolgen, wobei gleichzeitig das Schulgeld für 2007 beglichen werden musste. Dazu noch die Kosten des Buschtaxis nach Otjimbingwe und eine neue Schuluniform. Ellie hat im Dezember und Januar so gut wie keine Einkünfte, zusätzlich musste im Dezember das Wassergeld und das Schulgeld für die eigenen zwei Kinder bezahlt werden. Ellie war verständlicherweise verzweifelt: 250 N$ für 2006, 250 N$ für 2007, 300 N$ für die Schuluniform, mindestens 100 N$ für Schulbedarf, mindestens 200 N$ für das Taxi – das ist das Doppelte von dem, was ihr Mann im Monat verdient, und zusammen mit dem, was Ellie mit dem Kindergarten erwirtschaftet, reicht das Geld gerade zum Überleben. Ellie war steinern vor Entsetzen, wußte auch keinen Rat bezüglich der Zukunft, denn der Junge braucht regelmäßige medizinische Betreuung, die auch wieder Geld kostet. Wir konnten Ihr das Geld für diesen Moment geben und ihr aus unserer Erfahrung mit den Kindergärten heraus mit der Beantragung der Waisenrente helfen. Das zusammen nahm Ellie ihre Zukunftsangst. Sollte Sie bis April keinen Erfolg damit haben, werde ich mit ihr die verschiedenen Stellen durchlaufen. Dass der Junge HIV positiv ist, macht Ellie keine Probleme, sie hat viele solcher Kinder in der Gruppe. Im Ebenacer Kindergarten war sonst kein Betrieb vom 01. Dezember 2006 bis zum 15. Januar 2007. Für den Kindergarten brauchte Ellie einige neue Stühle, Papier war noch da, Scheren, Klebstoff, Kreiden und Farbstifte wurden ergänzt. Ab 15. Januar läuft auch wieder die Versorgung der Kindergartenkinder mit Essen über den Großmarkt African Marketing in Windhoek, welcher die von mir per Fax monatlich bestellten Rationen, berechnet aus der Kinderzahl, auch ausliefern. Es gibt Maismehl und eine spezielle Suppe aus Soja, Vitaminen und Mineralstoffen. Außerdem Zucker und Öl, manchmal auch Reis und Makkaroni. Die Bezahlung erfolgt über ein Guthabenkonto, das ich bei jedem unserer Aufenthalte in Namibia kontrolliere und nach Bedarf auffülle. Die einzelnen Kindergärten sind nicht berechtigt, selber anzufordern, so habe ich die Gewißheit, dass nur die wirklich benötigten Mengen geliefert werden.

Marthas Morning Sun Kindergarten war nicht völlig geschlossen. Sie hatte einen Notdienst eingerichtet für Kinder, deren Eltern auch während der Ferien arbeiten mussten, vor allem auch für Säuglinge und Kleinstkinder. Neun bis zwölf Babys waren immer da, manchmal auch zwei bis drei größere Kinder. Martha und ihre Helferinnen wechselten sich mit der Betreuung ab. Alle Babys waren sauber und zufrieden, sobald eines auch nur den geringsten Unmut zeigte, wurde es hochgenommen, getröstet, versorgt – eine sehr wohltuende Atmosphäre, auch wenn es in diesem Kindergarten furchtbar heiss ist im Sommer, weil die Räume viel zu niedrig sind und sich die Hitze staut. Aber die Toilette steht tatsächlich, sie ist gebrauchsfertig, inklusive Wasserspülung. Dass in diesem wasserarmen Land keine Stop-Taste an der Spülung vorhanden ist, hat uns ziemlich aufgebracht. Der Grund dafür sei, so sagte man uns, dass das Klo nicht verstopfe. Martha sagte, sie schicke zuerst alle Mädchen auf die Toilette, dann würde gespült, und dann die Jungs, so spare sie auch Wasser. Nachdem die Toilette jetzt steht, ist auch klar, dass das Kindergartengrundstück vermessen und eingetragen ist, was bis jetzt ausstand. Nun können wir bei unserem nächsten Aufenthalt bei der zuständigen Behörde beantragen, dass das Kindergartengebäude umgebaut werden kann. Wir brauchen mehr Höhe und ein größeres Klassenzimmer. Inzwischen gibt es Fertigbauteile aus einem isolierenden Stoff, statt des reinen Wellblechs, wir haben Hütten gesehen, die daraus gebaut sind, wissen aber noch nichts über die Preise, also auch nicht, ob wir uns das leisten können. Martha war bei unserem letzten Besuch nicht da, aus dem Kauderwelsch, den die Vertretung erzählte, konnten wir uns zusammen reimen, dass sie eine Totgeburt hatte und auf der Beerdigung ihres Babys war. Arme Martha!

Der Kapps-Kindergarten war bis zum 15. Dezember in Betrieb, weil die Firma, in der die meisten Eltern arbeiten, erst dann schloss. Am 17. Dezember fand als Jahresabschluss dann die Weihnachtsfeier statt, bei der wir, gerade in Namibia angekommen, teilnahmen. Der große Raum des Kindergartens, in dem auch drei bis vier mal wöchentlich Gottesdienste stattfinden, war festlich geschmückt. Alle Eltern waren gekommen, überall hingen Sterne, Lametta, jeder kam im Sonntagsstaat. Mit einem gemeinsamen Gebet wurde die Feier eröffnet, dann wurde gesungen – ich verstand den Text nicht, weil sie in „Damara“ sangen – es war aber ein wunderschönes Lied, das immer wieder unterbrochen wurde, weil dazwischen die Kinder die Weihnachtsgeschichte aufsagten, jedes Kind einen Satz. Wenn das Kind fertig war, klatschten alle Eltern, dann wurde weitergesungen. Kinder und Eltern waren sehr stolz. Nach der Weihnachtsgeschichte kamen die neuen Erstklässler an die Reihe. Statt Schultüten bekommen die Kinder in Namibia einen Hut, den die Erzieherinnen gebastelt haben. Stolz standen sie da, die Jungen und Mädchen. Und dann gab es für jedes Kind noch ein kleines Geschenk, ein Spielzeug, Süßigkeiten oder Farbstifte. Die Feier war sehr gut vorbereitet! Alle Achtung vor Angelika, unserer Erzieherin, und Veronika, die für die Küche, das Saubermachen und die Betreuung der Kleinsten zuständig ist. Friede, die dritte im Bunde, war nicht da. Sie war schon Anfang Dezember verschwunden, einfach so, wolte zu ihren Eltern in den Norden, wurde dann aber später in Katutura gesehen. Da sie von Anfang an nicht zuverlässig war, laut Aussagen von Eltern und Anwohnern auch gerne und oft Alkohol konsumierte, haben wir sie, als sie am 14.01., statt wie besprochen am 08.01., nicht erschienen war, entlassen.

Am 29.12.2006 kam Claudia Frick in Windhoek an. Gemeinsam erlebten wir einen denkwürdigen Jahreswechsel – andere Länder, andere Sitten – und berieten in den folgenden Tagen über die Situation der Kindergärten, mögliche Verbesserungen und das weitere Vorgehen. Da Claudia Frick selbst Erzieherin und Kindergartenleiterin ist, konnte sie sehr viele Anregungen geben. Frau Frick spielte auch mit den Kindern, hat den Erzieherinnen Spiele gelernt, hat ihnen Möglichkeiten gezeigt, mit den Kindern mathematisch zu arbeiten und hat die Arbeitsmappen der Kinder begutachtet. Es war eine schöne und produktive Zeit für uns, leider konnte die dritte im Bunde – Doris Fitz – nicht mitkommen.

Eine Woche vor Schulbeginn reiste Frau Frick wieder ab. Wir waren diesmal sicher, alles gut vorbereitet zu haben, die Schulplätze waren reserviert. Aber am laufenden Band kamen Eltern, die noch keinen Schulplatz gefunden hatten, die die Schulgebühren nicht bezahlen konnten oder wollten.  Die Klärung all dieser Fälle brauchte sehr viel Zeit. Zwei Großväter, deren Enkel verwaist sind, baten um Unterstützung für zwei und drei Kinder, wie sie von ihren 300 N$ Rente das Schulgeld nicht bezahlen konnten. Dazwischen mussten wir vier Kinder in das Blouwkrans-Internat bringen, dieses ist etwa 80 Kilometer entfernt. Wir hatten dort im April Matratzen abgeliefert, damit die Kinder nicht auf dem nackten Boden schlafen müssen, aber nicht recht an die Geschichte geglaubt, dass die Stockbetten – ohne Matratzen – schon im Lager stehen würden. In den ehemals leeren Räumen, frisch renoviert, stehen jetzt Stockbetten! Jedes Kind hat jetzt ein eigenes Bett mit Matratze zum Schlafen.

Der Aris-Kindergarten macht keine Probleme. Da er unter der Oberaufsicht der Schulleitung von Aris steht, und die Hausmutter des Internats dort eine sehr tüchtige Frau ist, bekommen wir zwar eine Liste der benötigten Arbeitsmaterialien, aber man kommt dort ohne unsere Anwesenheit zweimal in der Woche aus.

Was uns immer wieder zu schaffen macht sind die persönlichen Lebensumstände der Leute, mit denen wir zu tun haben. Nehmen wir Angelika, die den Kapps-Kindergarten vorzüglich leitet. Sie hat zwei Kinder, ein Mädchen mit acht und einen Jungen mit drei Jahren. Einst wohnte sie neben dem Kindergarten, aber ihr Mann wurde gekündigt, die Familie verlor ihr Wohnrecht dort. Nun wohnt sie 30 Kilometer entfernt, in einer Wellblechhütte zusammen mit ihrer Schwester und kommt jeden Tag die halbe Strecke per Taxi, die halbe Strecke per Tramp, zur Arbeit. Ihr Mann hat sie verlassen, sie ist mit den Kindern auf sich allein gestellt. Sie verdient im Monat 1200 N$, davon gehen 600 N$ für die Fahrt zur Arbeit drauf. Sie hat also wenig Geld zur Verfügung, andererseits müssen viele Familien dort mit 600 N$ pro Monat auskommen – 600 N$ entsprechen vom Kaufwert her etwa 150 Euro! Sie frägt oft um Vorschuss – wobei ihr der dann in der nächsten Woche fehlen würde. Nun ist ihr Großvater gestorben, laut dem Sippengesetz muss sie einen Anteil am Sarg und der Beerdigung bezahlen. Außerdem muss sie samt Sarg 500 Kilometer mit dem Bus fahren, der Anteil am Sarg kostet 150 N$, die Fahrt hin und zurück ebenso 150 N$. Ist das ihr Problem, oder müssen wir helfen?
Ein anderes Beispiel ist der Vater, der mit seinen vier Buben in Katutura lebt. Drei davon sind seine eigenen. Seine Frau hat ihn nach der Geburt des Jüngsten, der jetzt vier Jahre alt ist, verlassen. Den Kleinsten, der etwa drei Jahre alt ist, hat er zu sich genommen, weil er von seinen Eltern vernachlässigt, geschlagen und eingesperrt worden ist. Der Vater arbeitet nachts als Wachmann und kümmert sich tagsüber um die Kinder. Eigentlich sollte er pro Monat 800 N$ für seine Arbeit erhalten, in der Realität sieht es so aus, dass die Firma selber kein Geld hat und ihm deshalb mal 300 N$, mal 400 N$ bezahlt, aber nie das volle Gehalt. Im Dezember 2006 hatte er noch gar nichts bekommen. Er hat sich schon mehrmals an die Telefonseelsorge gewandt, weil er nicht mehr weiter wusste und sich und die Kinder umbringen wollte. Eine andere Arbeit fand er auch nicht. Letztes Jahr war auch seine Mutter gestorben, womit die 300 N$ Rente, die sie bekam, auch noch vom Familieneinkommen wegfielen. Wasser und Strom hatte er schon lange nicht mehr bezahlt. Trotz aller Knappheit hat er es geschafft, 450 N$ zur Seite zu legen, um das Schulgeld der drei ältesten Buben zu bezahlen. Er braucht aber 800 N$ dafür, und zusätzlich eine Schuluniform für den siebenjährigen Schulanfänger. Zu allem hin haben die zwei Ältesten noch die Masern und müssen im Hospital bleiben. Dies kostet auch wieder 170 N$. Können wir ihm die Hilfe verweigern, nur weil auf unserem Stempel steht: „Kindergärten in Namibia“?

Wir begegnen viel menschlicher Not in Namibia, und vielen Vorurteilen den Schwarzen gegenüber. Immer wieder sind Entscheidungen notwendig, die wir vor allen Spendern vertreten können müssen. Wir versuchen, Not dort zu lindern, wo sie uns begegnet, an Ort und Stelle, oft nicht sofort, weil wir uns überlegen, ob wir dies vor unserern Spendern – Ihnen – begründen können. Wir hoffen auf ihr Vertrauen und versichern Ihnen, dass wir nach bestem Wissen und Gewissen mit Ihren Spenden umgehen!

Vielen Dank für Ihre Hilfe!