Der Winter von Mai bis September war sehr hart gewesen, die Nachttemperaturen lagen weit unter dem Gefrierpunkt, und da die Sonne lange brauchte, um ein „gefrorenes“ Land zu erwärmen, wurde es auch tagsüber nicht so warm wie gewöhnlich. Normalerweise ist es ab September ein angenehmer Frühling auf der Südhalbkugel, nicht zu warm, aber auch nicht mehr kalt. Dieses Jahr wurde es erst bei unserer Abreise, Ende Oktober, wieder warm, wir hatten noch lange strenge Nachtfröste.
Viele der Kinder in den Kindergärten waren krank gewesen, ihr Gesundheitszustand war schlechter als gewöhnlich. Die meisten hatten noch schlimme Rotznasen und viele husteten. Am schlimmsten betroffen waren die Kinder des Kapps-Kindergartens, denn dort ist es kälter als in Katutura, Kapps liegt 1800 Meter über dem Meeresspiegel. Wir hatten zwar das Kinderheim, das an den Kindergarten angeschlossen ist, als Winter-Aufenthaltsraum freigegeben, aber das hatte nicht viel genutzt. Viele der Kinder liefen barfuß, waren insgesamt unzureichend gekleidet und wurden krank. Zwei Kinder mussten wir mit Verdacht auf Tuberkulose ins Krankenhaus schicken, aber zum Glück waren beide Befunde negativ.
Mit der Arbeit, die in allen Kindergärten geleisten worden ist, sind wir zufrieden. Der Leistungsstand der Kinder ist gut und entspricht dem, was von den jeweiligen Altersklassen erwartet werden kann. Im Januar diesen Jahres hatte ich die mit Hilfe von Frau Fitz und Frau Frick, beide Kindergartenleiterinnen in Deutschland, erstellten „Lern-Pläne“ in den Kindergärten verteilt, nach diesen sollte dann gearbeitet werden. Der Plan sieht vor, daß altersgemäß Fähigkeiten entwickelt werden, ein Vierjähriger zum Beispiel seine Schuhe an- und ausziehen, einen großen Ball werfen und fangen, auf beiden Beinen hüpfen, schaukeln, ein Sieben-Teile-Puzzle lösen, zu einem Lied klatschen, einen Stift halten und Linie zeichnen und die Tiere seiner Umgebung benennen kann. Ein Fünfjähriger sollte bis Fünf zählen können, eine Schere zu benutzen wissen, ein Strichmännchen zeichnen, eine Zahnbürste benutzen und die Tiere seines Landes auf Bildern erkennnen können. Die Kinder, die im Januar jeden Jahres eingeschult werden sollen, müssen die Wochentage, Monate, Farben, Formen, Tiere und Gegenstände des täglichen Lebens auf Englisch beherrschen, von ein bis zwanzig zählen und ihren Namen schreiben können. Ich habe in der Aris-Schule, wo die meisten der Kinder aus Kapps eingeschult werden, bei den Lehrern nachgefragt, ob diese mit dem Bildungsstand der Kinder zufrieden seien, meinten diese nur: „Missis, wenn alle Erstklässler so wären, hätten wir hier keine Probleme!“ Das kann uns doch stolz machen, oder?
Angelika, vom Kapps-Kindergarten, musste im Mai ihr Haus, das direkt neben dem Kindergarten steht, räumen, da ihr Mann seine Arbeitsstelle verloren hatte. Sie zog mit ihren zwei Kindern zu ihrer Schwester und muß jetzt täglich 30 Kilometer hin und zurück mit dem Taxi fahren. Sie hat noch keinen Tag gefehlt, war immer pünktlich zur Stelle, obwohl sie von ihrem Verdienst (1000 N$ monatlich) täglich 30 N$ für das Taxi zahlen muss, also 600 N$ pro Monat. Da bleibt nicht viel zum Leben, zumal ihr Mann arbeitslos und zur Zeit ganz verschwunden ist. Angelika hat, zuverlässig wie immer, alle Kinder, die eingeschult werden müssen, angemeldet, hat Geburtsurkunden besorgt, Anträge ausgefüllt, Passphotos machen lassen. Sie hat einen lückenlosen Nachweis ihrer Arbeit mit den Kindern vorgelegt, und jedes einzelne Kind hat eine randvolle Arbeitsmappe. Auch die Eltern hatten keine Klagen. Ich habe mit Angelika beratschlagt, sie konnte daraufhin den Taxipreis auf 20 N$ herunterhandeln und bekommt jetzt 50 N$ pro Woche Fahrtkostenzuschuss von uns. Außerdem bezahlen wir das Schulgeld einer ihrer Töchter, die auf eine Windhoeker Schule geht. Normalerweise übernehmen wir die Kosten nur bei Internatsanmeldungen, da wir dann sicher sein können, dass die Kinder die Schule auch besuchen. In diesem Fall machen wir eine Ausnahme, wir wollen aber jedes Trimester-Zeugnis sehen. Von ihrem Geld konnte Angelika die Schulgebühren nicht bezahlen, die Tochter hätte keine Chance mehr, auf die Schule gehen zu können. Dies wäre schade, sie ist ein kluges kleines Mädchen, wir kennen sie, seit sie laufen kann. Frieda, die zweite Kraft des Kapps-Kindergartens, machte uns Sorgen. Sie hatte sich mit ihrem Freund zerstritten und brauchte nun eine neue Unterkunft. Wir quartierten sie im Kindergarten ein. Es war uns ganz recht, da, nachdem Angelika nicht mehr in der Nachbarschaft schläft, jemand dort wohnt und somit aufpasst. Im Lauf der Wochen kam uns aber zu Ohren, dass jener Freund ein übler Geselle sein muss und die beiden nicht ganz getrennt seien, sondern immer wieder betrunken miteinander gesehen wurden. Ich habe Frieda zur Rede gestellt, sie hat aber alles abgestritten. Da ich sie mehrmals bei gesagten Unwahrheiten ertappt habe, traue ich ihr nicht mehr so recht. Noch haben wir keine Konsequenzen gezogen, überwachen sie aber strenger, auch, wenn wir nicht in Namibia sind.
Im Ebenacer-Kindergarten von Ellie läuft alles prima. Sie hat jetzt weniger Straßenkinder, da sich eine Hilfsorganisation in Katutura-Hakahana speziell um diese Kinder kümmert. Jetzt kann sich Ellie ganz auf den Kindergarten mit den 74 Kindern konzentrieren und hat ihn, zusammen mit zwei Helferinnen, sehr gut im Griff. Sie braucht nur Unmengen Arbeitsmaterial und Essen, kein Wunder bei dieser Menge Kinder. Und sie braucht eine Toilette – eine lange Geschichte: Anfang 2004 sagte mir Martha vom Morning-Sun-Kindergarten, sie brauche dringend eine Toilette, die Kinder müssten, um ihre Geschäfte zu verrichten, immer in den Busch. Nun lag dieser Kindergarten damals am äußersten Ende von Katutura-Havanna, dahinter war pure Wildnis. Zwei Kinder waren da draußen schon von Schlangen gebissen worden, eines verstarb. Im April 2004 stellte ich, nach vielen Telefonaten zwecks Auffindung der zuständigen Stelle, den Antrag auf Bau einer Toilette für Morning-Sun. Man kann auch in den Elendsvierteln nicht einfach etwas bauen, wer es dennoch tut, gefährdet die Genehmigung zum Betrieb eines Kindergartens. Der Antrag wird bei einer gewissen Heike abgegeben, die übrigens schwanger war. im Oktober 2004 hat Heike entbunden, ist deshalb nicht im Büro und die Papiere sind unauffindbar. Ab Januar sei Heike aber wieder da. Im Januar 2005, zwei Tage vor Beginn der offiziellen Büroferien, kommt unser Flieger aus Deutschland an – Heike ist nicht zu sehen. April 2005: Heike kommt doch erst im Herbst, die Papiere sind immer noch unauffindbar. Ein zweiter Antrag ist nicht möglich, „oder wollen sie zwei Toiletten bauen?“ Im Oktober 2005 ist Heike immer noch nicht da, aber Geraldine, die neue Büroleiterin. Sie ist zuerst unfreundlich, aber nachdem ich die Geschichte geschildert habe, mischt sie Büro und Angestellte auf. Der Antrag taucht dann auch plötzlich auf. Leider kann sie das Grundstück anhand der ERF-Nummer, einer Art Grundstücksnummer, nicht identifizieren. Mit einer Luftaufnahme kann ich schließlich über das „Nachfahren“ der Wege die richtige aus den Hunderten Wellblechhütten heraussuchen. Geraldine meint daraufhin, dass die Gegend noch gar nicht vermessen sei, sie sich aber darum kümmern werde – ich müsse nur beim Amt für Wasser und dem für Abwasser vorbeigehen, dann noch bei diesem und jenen Amt, und überall klarmachen, was ich wolle. Als sie mein verzweifeltes Gesicht sieht – es ist nicht so, dass alle Ämter in einem Gebäude wären, nein, sie sind über die ganze Stadt verstreut und manche gut versteckt – winkte sie ab und meinte, sie würde auch ohne mich zurechtkommen und ich solle im Januar wieder kommen. Im November 2005 erhält Martha die schriftliche Genehmigung zum Bau einer Toilette. Im Januar 2006 hat die Stadtverwaltung ausnahmsweise bis 20. Januar geschlossen, weil neue Sicherheitsmaßnahmen im Gebäude installiert werden. Unser Rückflug geht am 17. Januar. Im April 2006 geht es weiter. Auf der Genehmigung steht, dass ein Herr B. zuständig sei. Dieser Herr ist, so teilt man mir am Telefon mit, im Krankenhaus und hat keinen Stellvertreter. Ein Anruf bei Geraldine ist nicht erfolgreich, sie hat eine neue Nummer. Nach vielen Versuchen bekomme ich diese und einen Termin bei ihr. Der Weg zu ihr ist auch nicht leicht, am Eingang des Gebäudes bekommt man eine Chipkarte, die an jeder Tür und im Aufzug benutzt werden muss. Da Kartenleser und Tür zu weit auseinander sind, ist das Tür öffnen sehr kompliziert. Auch ist nicht berücksichtigt, dass ich, um in den achten Stock zu kommen, durch den siebten Stock laufen muss. Diese Freischaltung habe ich natürlich nicht. Geraldine amüsiert sich über die Geschichte des Wegs zu ihr köstlich, und meint, dass nur noch eine Unterschrift von Windhoek-Stadt-Wasser eines Herrn K. fehlt. Sie riefe ihn gleich an. Der Herr hat den Vorgang noch nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn bearbeitet. Ich solle übermorgen anrufen. Und überübermorgen. Und nochmal. Und nochmal. Schließlich flogen wir nach Deutschland zurück. September 2006:
11.09. Genehmigung bei Martha abgeholt, Termin bei Geraldine abgemacht
13.09. Besuch bei Geraldine. Mein Mann, der wegen der Türen mitkam, riß gleich einen Kunststofftürgriff ab – das bemerkte zum Glück niemand. Es stellte sich heraus, dass ein aktueller Plan des Gebiets fehlt, Geraldine faxte ihn an Herrn K.
18.09. Termin mit Mr. K. und Ortsbesichtigung bei Martha. Er will übermorgen anrufen und bis dahin Kontakt mit dem Mann aufnehmen, der die Toilette baut
20.09. Kein Anruf. Nachmittags rufe ich an: Der Bauunternehmer hat die Teile nicht auf Lager
25.09. Falsche Teile sind eingetroffen, am Freitag wieder anrufen.
29.09. Kein Mensch geht ans Telefon
02.10. Teile sind noch nicht da: Ich sage, dass ich ein Photo mit nach Deutschland nehmen muss, da sonst der Verdacht aufkäme, ich würde nichts tun. „no, no“ meint Herr K., das Photo könne ich sicher mitnehmen
04.10. Niemand geht ans Telefon. Ich habe den Verdacht, dass Herr K. meine Telefonnummer im Display erkennt. Ein Anruf von einer Bekannten aus bringt ihn dann auch an die Strippe. Das Ganze ist ihm furchtbar peinlich, ich könne am nächsten Tag die Rechnung abholen und begleichen
05.10. Die Rechnung wird abgeholt, gleichzeitig wird erwähnt, dass das Photo auf jeden Fall geschossen wird, auch von einem leeren Platz von der Toilette … und daneben komme dann ein Photo von Herrn K. – „no no, ja nicht“…. Das Bezahlen in der Barzahlungshalle bedeutet eine Schlange von etwa 70 Menschen, am Schalter stellt sich heraus, dass es das falsche Formular war. Eine Schlange von 40 Menschen steht am Schalter für die Formulare. Nach zwei Stunden ist das Ganze schließlich bezahlt.
06.10. Anruf bei Martha: Ja, es sei jemand dagewesen, habe kurz etwas ausgemessen, aber sei dann wieder gegangen.
09.10. Von Bekannten aus rufe ich Herrn K. an, der Bauunternehmer hat noch nicht alle Teile
16.10. Besuch bei Martha, von einem Klo ist weit und breit nichts zu sehen. Photo vom leeren Platz gemacht
17.10: Anruf bei Herrn K.: Bericht, dass das Photo vom leeren Platz gemacht sei und ich morgen zu ihm käme…
18.10. Anruf von Herrn K.: Gib mir Deine Adresse, ich schicke Dir das Photo von der Toilette nach Deutschland, wenn sie fertig ist“
20.10. Rückflug nach Deutschland
Da nun Ellie meint, sie bräuchte eine Toilette, geht mir diese Geschichte im Kopf herum. Natürlich braucht sie eine Toilette, rund um ihren Kindergarten sind Wellblechhütten, die Kinder müssen hinter den Kindergarten gehen, was sich vor allem bei warmen Wetter durch Gerüche bemerkbar macht. Nun denn, wir haben den Antrag gestellt.
30.10. Anruf von Martha: die Toilette steht und funktioniert. Endlich! Knappe 2 Jahre hat es gebraucht.
Wir haben auch dieses Mal wieder alle Kindergärten mit Arbeitsmaterial und Essen versorgt, haben für die Kinder unser Bestes getan. Sie waren alle sehr traurig, als wir uns verabschiedeten und haben uns ganz viele liebe Grüße an all die Menschen in Deutschland, die uns diese Hilfe ermöglichen, mitgegeben.
Auch wir danken allen, die uns unterstützen, ganz herzlich!
Wir haben im September und Oktober 2006 ausgegeben:
Gehälter
Schulgelder 2007
Schulgelder 2006
Gas
Arbeitsmaterial
Kleider
Telefonkarte (für Notfälle)
Reparaturmaterial
Toilette Martha
Wassergelder 2006
Taxigelder zum Arzt, zur Schulanmeldung uws.
Hospital
Ausflüge der Kinder zur Messe in Windhoek
Essen (Zusatzkost)
Gesamt
36035,08 N$
für regelmäßige Nahrungsmittellieferungen